Neue Historie

Julius Motteler – der „Rote Feldpostmeister“

Motteler

Die Feierstunde am Gymnasium anlässlich seines 185. Geburtstages und die 60. Wiederkehr der Namensgebung des Gymnasiums am 4. Juli 2023 sind Grund, das Leben und Wirken Julius Mottelers wieder einmal in Kurzfassung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen:

Julius Motteler, Sozialdemokrat, Arbeiterführer und Weggenosse Bebels und Liebknechts, ist ein Mann, der für die Entwicklung Deutschlands, mehr aber noch für die Entwicklung Crimmitschaus, Entscheidendes geleistet hat: Bekannt geworden ist er unter dem Deck- und späteren Ehrennamen „Roter Feldpostmeister“ wegen des von ihm organisierten illegalen Vertriebs der Parteizeitung „Der Sozialdemokrat“ in der Zeit des Sozialistengesetzes (1878 bis 1890) von der Schweiz aus. Trotz größter Anstrengungen gelang es den Spitzeln Bismarcks nicht, das ausgeklügelte Verteilungssystem zu zerschlagen. Motteler trug damit entscheidend zum Sturz Bismarcks und zum Aufstieg der Sozialdemokratie zur stärksten Partei Deutschlands Ende des 19. Jahrhunderts bei.

Der am 18. Juni 1838 in Esslingen (Württemberg) geborene Motteler entstammt gutbürgerlichen Verhältnissen und absolvierte standesgemäß eine Kaufmannslehre. Im Jahre 1859 beginnt er eine Tätigkeit als Buchhalter und Disponent in der Crimmitschauer Firma Wolf & Kirsten. Bis 1874 wird er in der aufstrebenden sächsischen Textilstadt leben und arbeiten – an keinem anderen Ort wirkt er länger als hier – und in dieser Zeit den Wandel von liberalen zu sozialdemokratischen Positionen vollziehen. Dazu beigetragen hat zweifelsohne das unmittelbare Erleben der katastrophalen Lage der Crimmitschauer Textilarbeiter, aber ebenso die Zusammenarbeit mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht.

In Crimmitschau ist Mottelers aktivste politische Zeit: Er gründet hier 1863 den ersten Arbeiterbildungsverein, am 10. Februar 1869 die erste Fabrikarbeitergewerkschaft Deutschlands, die "Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik- und Handarbeiter beiderlei Geschlechts", und gibt zusammen mit Wilhelm Stolle aus dem heutigen Crimmitschauer Ortsteil Frankenhausen am 1. November 1870 die erste sozialdemokratische Tageszeitung Deutschlands, den „Crimmitschauer Bürger- und Bauernfreund“, heraus. Er ist 1875 in Gotha Mitbegründer der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD/seit 1890 SPD) und vertritt von 1874 bis 1878 den Wahlkreis Zwickau-Werdau-Glauchau-Crimmitschau im Deutschen Reichstag. Motteler legt damit die Grundlagen für den Aufstieg der Crimmitschauer Arbeiterbewegung zu einer führenden Kraft in Deutschland, der im legendären Textilarbeiterstreik 1903/04 gipfelt, in dem 9000 Textilarbeiter mit der Unterstützung aus ganz Deutschland sechs Monate lang für den 10-Stunden-Arbeitstag und zwei Mark mehr Lohn kämpften.

Ein weiteres Verdienst des berühmten „Wahl-Crimmitschauers“ ist seine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Gleichberechtigung. Motteler setzte sich nämlich – entgegen der damaligen Haltung der Parteispitze – schon 1869 in einer Rede in Glauchau für „die volle soziale und staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau“ ein. Und im Namen der von ihm gegründeten ersten Fabrikarbeitergewerkschaft Deutschlands heißt es ausdrücklich „…beiderlei Geschlechts“! Clara Zetkin bezeichnete ihn ein Vierteljahrhundert später deshalb als den „Begründer der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“.

Während des Sozialistengesetzes emigrierte Motteler zuerst in die Schweiz und 1888 nach London. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1901 wird er Leiter des Verlages und der Druckerei der "Leipziger Volkszeitung" und 1903 bis zu seinem Tod 1907 noch einmal Reichstagsabgeordneter.

Das Gymnasium trägt seit dem 5. Juli 1963 (damals noch Erweiterte Oberschule) seinen Namen und in Crimmitschau gibt es inzwischen zwei Denkmale für Motteler: eins auf dem Pausenhof des Gymnasiums Haus Lindenstraße (seit 2011) und eins an der Ecke Werdauer/Carl-Spengler-Straße (seit 2010). Dort stand bis 2001 das frühere Kontorgebäude der Firma Wolf&Kirsten, Mottelers erster Arbeitsort in Crimmitschau.

Quellen: Jahresbericht des JMG 1997/98 und Festschrift „100 Jahre Abitur in Crimmitschau“ (2017)

 

Von alten Klöstern und noch älteren Kirchen

Ein Beitrag zu zwei Jubiläen in der Region im nächsten Jahr

Von Rudolf Neumerkel und Lutz Hanzig

Im Jahr 2022 begehen wir in Crimmitschau nicht nur den 800. Jahrestag der Ersterwähnung der Laurentiuskirche, sondern auch den 800. Jahrestag der Gründung eines Klosters, das die Geschichte unserer Nachbargemeinde Neukirchen, aber auch die Crimmitschauer Geschichte geprägt hat. 

Es handelt sich um den Vorgängerbau des zwar schon längst nicht mehr existierenden, aber immer noch bekannten Klosters Karthause, des Augustinerklosters St. Martin. Gestiftet wurde dieses Kloster von Heinrich von Crimmitschau, der erstmals 1214 in einer Urkunde als Landrichter des Pleißenlandes erwähnt wird und sich mit der Stiftung von der Teilnahme an einem Kreuzzug „freikaufte“. Die Klosteranlage befand sich im heutigen Neukirchen an der Ecke Werdauer/Naundorfer Straße und erstreckte sich auf einer Fläche von etwa 160x100 m bis zur Pleiße. Schon vor der Gründung des Klosters befand sich an dieser Stelle eine Kapelle, die den  Namen des Heiligen Martin trug. Sie wurde danach als Klosterkirche genutzt und ist damit das nachweislich älteste Gotteshaus im Pleißental!

Aufgrund seines geringen Landbesitzes und der daraus resultierenden eher „mageren“ Einkünfte kann sich das Kloster nur mit Hilfe mehrerer Ablässe am Leben erhalten. Der Hussiteneinfall 1430 und der Sächsische Bruderkrieg 1446 bis 1451 ruinierten es endgültig.

Am 1. Dezember 1478 genehmigt Papst Sixtus IV. auf Bitten der Kurfürstin Margarethe und des Inhabers der Herrschaft Crimmitschau, Hans Federangel, die Umwandlung des Augustinerklosters in eine Niederlassung des Karthäuserordens.

Das alte Augustinerkloster wird daraufhin für die Bedürfnisse der Karthäuser umgebaut.

Das Kloster erhält den Namen „Haus der Verklärung Jesu Christi im Martinstal bei Crimmitschau“. Es gehört zur Provinz „Alemanniae inferioris“ und untersteht, wie alle anderen Karthausen, dem Mutterkloster  Grande Carthreuse.

Das neue Kloster wird im Oktober 1479 mit Mönchen aus dem Kloster St. Salvator in Erfurt besetzt. Es waren dies Jodokus Christen als Prior und vier weitere Mönche. Die Entsendung aus dem Erfurter Kloster gefährdete den Bestand dieser Karthause.

Bereits nach 46 Jahren kommt es infolge der Reformation zur Apostasie (Abfall vom Glauben) von sechs Mönchen. Die staatlich verordnete Verwaltung folgt 1526, und 1531 wird das Kloster aufgelöst. Einige der Mönche werden evangelische Pfarrer, so wie Simon Burkhard, der erste evangelische Pfarrer in Crimmitschau. Er übernahm 1529 die Pfarrstelle der Laurentiuskirche.

Das Klostergut wird zuerst durch einen vom Sächsischen Kurfürsten bestellten Verwalter geführt. 1545 wird ein Teil der Anlage durch Fürsprachen Martin Luthers beim Kurfürsten an seinen Schwager Hans von Bora verkauft. Er eröffnet eine lange Reihe adliger und bürgerlicher Besitzer des nunmehrigen Rittergutes Carthause. Letzter Rittergutsbesitzer war Alfred Wolf, der 1945, also genau 400 Jahre später, im Zuge der Bodenreform enteignet wird.

Es gibt kein Gebäude der ursprünglichen Klosteranlage mehr. Zahlreiche Gebäude wurden unmittelbar nach der Auflösung des Klosters abgetragen. Dazu gehört auch die Kirche. Die heute das Ortsbild Neukirchen prägende St. Martinskirche wird erst 1869/70 erbaut. Sie war der  Nachfolgebau der 1488 bis 1496 als „Ersatzneubau“ für die an das Kloster „verlorengegangene“ Kapelle errichteten Pfarrkirche. Belege für den Abriss der Klostergebäude finden sich im Hospitalrechnungsbuch von Crimmitschau. Dort werden Fuhrleute für das Fahren von Steinen aus der Karthause benannt und entlohnt.

Das letzte verbliebene Gebäude der Klosteranlage war das als Herrenhaus des Rittergutes genutzte Kapitelhaus, das aber 1946 (wahrscheinlich erst 1947, nämlich im Zuge der Umsetzung des Befehls 209 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland) abgerissen wurde. Wie übrigens auch das Schloss (Herrenhaus) des Rittergutes Frankenhausen, des ehemaligen Zisterzienser-Nonnenklosters.

Vom Rittergut steht allerdings heute noch ein Gebäude, die ehemalige Klostermühle. Sie brannte zwar 1913 bis auf die Grundmauern ab, wurde aber 1922 an gleicher Stelle wieder aufgebaut. Heute befindet sie sich in Privatbesitz und wird als Wohnhaus genutzt.

An das Kloster erinnert heute nur noch Weniges: die Carthäuser Straße in Crimmitschau, der Carthäuser Weg in Neukirchen (der etwa den östlichen Abschluss der ehemaligen Klosteranlage markiert), einige Reste der Klostermauer und ein Band der ursprünglich 298 Bände umfassenden Klosterbibliothek, der sich heute in der Ratsschulbibliothek Zwickau befindet. Den älteren Neukirchnern ist auch noch die Gaststätte „Carthause“ bekannt, die zwar ebenfalls schon lange nicht mehr existiert, das repräsentative Fachwerkhaus steht aber noch – etwa in Höhe der ehemaligen Klosteranlage auf der anderen Seite der Werdauer Straße. Es gehörte aber nie zum Kloster, wurde auch erst lange nach dessen Ende errichtet und sicher in Erinnerung an das Kloster so benannt. Und die sich hartnäckig haltende Legende vom unterirdischen Gang zwischen dem Karthäuserkloster Neukirchen und dem Zisterziensernonnenkloster Frankenhausen ist sicher das Ergebnis der blühenden Fantasie von Leuten, denen das Klosterleben fremd war.

Anmerkung: Der Befehl Nr. 209 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), Marschall der Sowjetunion Wassili Danilowitsch Sokolowski, vom 9. September 1947 galt der Schaffung von Neubauernhöfen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Zu diesem Zweck ordnete der Befehl die Gewinnung des erforderlichen Baumaterials aus den „Baulichkeiten ehemaliger Gutsbesitzerhöfe“ an. In der Praxis bedeutete die Ausführung des Befehls die Zerstörung und Beseitigung zahlreicher Herrenhäuser und Gutshöfe, deren Besitzer durch die Bodenreform in der SBZ ab 1945 enteignet worden waren. (Wikipedia)